E. Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter

Cover
Titel
Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz - Todesmärsche - Folgen


Autor(en)
Lappin-Eppel, Eleonore
Reihe
ustria: Forschung und Wissenschaft - Geschichte 3
Erschienen
Münster 2010: Frankfurter elektronische Rundschau zur Altertumskunde (FeRA)
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Annette Mertens, Kommission für Zeitgeschichte

Eleonore Lappin-Eppel, Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, füllt mit ihrer Studie über ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Österreich 1944/45 eine jener Lücken, die auch die inzwischen so reichhaltige Forschung über den Holocaust in Europa noch immer aufweist. Zugleich widmet sie sich damit der Frage, wie die österreichische Bevölkerung nach 1945 mit ihrer Vergangenheit in den Jahren des «DrittenReiches» umging.

Nach der Vergrösserung Ungarns um vormals slowakische, rumänische und nordjugoslawische Gebietsanteile in den Jahren 1938 bis 1941 betrug die Zahl der dort lebenden Juden ca. 725.000. Die systematische Vernichtung der ungarischen Juden setzte vergleichsweise spät, dann jedoch mit um so grösserer Radikalität ein: Während sich die militärische Niederlage der Achsenmächte längst abzeichnete, wurden unter der deutschen Besatzung, zugleich aber unter tatkräftiger Mithilfe der ungarischen Behörden, im Frühsommer 1944 innerhalb von acht Wochen rund 400.000 Personen nach Auschwitz deportiert.

Eine Besonderheit der Verfolgung der ungarischen Juden bildet der Einsatz von rund 200.000 Personen als Zwangsarbeiter in Deutschland und den besetzten Gebieten im letzten Kriegsjahr. Mehr als 50.000 von ihnen wurden in der damaligen «Ostmark» (ca. 35.000) bzw. unter österreichischer Kontrolle in Westungarn (ca. 18.000) eingesetzt. In der Ostmark wurden sie zu verschiedenen Aufgaben in Industrie und Landwirtschaft herangezogen. Im ungarischen Grenzgebiet dienten sie vor allem als Arbeitssklaven für die Errichtung des so genannten Südostwalls, einer Befestigungsanlage, deren Bau sich als militärisch völlig sinnlos erwies.

Für viele Deportierte – Männer, Frauen und Kinder − bildete das Durchgangslager in Straßhof an der Nordbahn die erste Station auf österreichischem Boden. Schon der Transport dorthin gestaltete sich als Kampf ums Überleben: Bisweilen mussten die Juden tagelang eingepfercht in völlig überfüllte, kaum belüftete Güterwaggons ohne Wasser und Verpflegung und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen ausharren, bis sie im Durchgangslager ankamen.

Nach der Verteilung auf die Einsatzorte hingen die Überlebenschancen der Deportierten von vielen Zufällen ab: Zwar war die Unterbringung in fast allen Fällen menschenunwürdig, die Verpflegung unzureichend und die medizinische Versorgung kaum erwähnenswert. Während aber am Südostwall gezielt «Vernichtung durch Arbeit» (209) betrieben wurde, waren die Arbeitsumstände für viele der in Wien und Niederdonau eingesetzten Juden zumindest nicht unmittelbar lebensbedrohlich: Sie waren in Gebäuden mit einem Mindestmass an sanitären Einrichtungen – oft in Schulgebäuden – untergebracht und mussten teilweise keine schwere körperliche Arbeit verrichten. Die «Schanzarbeiter» am Südostwall hingegen schliefen teils auf feuchtem Boden, in offenen Scheunen ohne eine Möglichkeit, sich und ihre Kleidung zu waschen oder zu trocken; ihnen wurden verschimmeltes Brot und faulige Kartoffeln als Nahrung vorgesetzt, und sie wurden regelmässig mit Schlägen misshandelt.

Ein besonders grausames Kapitel des ungarischen Zwangsarbeitereinsatzes bildeten schliesslich die «Todesmärsche» in die Konzentrationslager Mauthausen und Gunskirchen. Angesichts der sich nähernden Roten Armee wurden die Schanzarbeiter des Südostwalls gegen Kriegsende in langen Fussmärschen in diese Lager getrieben. Viele von ihnen kamen schon vor ihrer Ankunft dort ums Leben. Spätestens jetzt, da die Kolonnen der ausgehungerten, dehydrierten und völlig entkräfteten Arbeiter durch die österreichischen Städte und Dörfer getrieben wurden, konnte ihr Schicksal niemandem mehr verborgen bleiben.

Eleonore Lappin-Eppel hat als Grundlage für ihre Untersuchung eine eindrucksvolle Menge an Erfahrungsberichten der überlebenden Opfer ausgewertet. Dabei konnte sie zum einen auf die Ermittlungsakten österreichischer Gerichte zurückgreifen, vor denen sich ein Teil der Täter nach dem Krieg verantworten musste. Zum anderen sammelte sie in österreichischen, britischen und israelischen Archiven Erfahrungsberichte, die Überlebende später gegenüber Hilfsorganisationen oder zu Forschungszwecken verfassten.

Unübersehbar ist das Bemühen der Autorin, die Opfer mit ihrer je individuellen Leidensgeschichte möglichst ausführlich zu Wort kommen zu lassen und zu würdigen. Die beeindruckende Fülle an Quellenmaterial birgt jedoch zugleich eine Schwierigkeit in sich: Da sich die Erinnerungen der Betroffenen naturgemäss in vieler Hinsicht ähnlich sind, kommt es zu vielen ermüdenden Längen und Wiederholungen im Text, die aus dem Aufbau der Darstellung resultieren. Innerhalb der Grosskapitel über «Arbeitssklaven für Wien und Niederdonau» sowie insbesondere «Ungarisch-jüdische Schanzarbeiter» fasst Lappin-Eppel die Erfahrungen der Opfer nicht unter übergeordneten Gesichtspunkten wie Unterbringung oder Ernährung zusammen oder verfolgt die Geschichten einzelner Familien exemplarisch vom Anfang bis zum Ende, sondern geht teilweise Lager für Lager, Bauabschnitt für Bauabschnitt vor, wobei der ortsunkundige Leser mit den geographischen Bezeichnungen ohne eine erläuternde Karte nicht einmal viel anfangen kann. So häufen sich die Wiederholungen – den Bericht über die Tagesration von «300 Gramm Brot und zwanzig Gramm Margarine» z. B. findet der Leser von Kapitel zu Kapitel immer wieder.

Die problematische Struktur des Buches hängt zugleich damit zusammen, dass die historische Schilderung und Ausblicke auf den Umgang mit der Vergangenheit nach 1945 – Verurteilung der Verantwortlichen usw. – teilweise vermischt werden. Dadurch wird die Darstellung streckenweise sehr unübersichtlich. Wünschenswert und der Lesbarkeit des Buches zuträglich wären auch eine ausführlichere Einleitung und Einordnung der Untersuchungsergebnisse in die bisherige Forschung sowie eine umfangreichere Zusammenfassung der Ergebnisse. Nichtsdestotrotz bleibt es das grosse Verdienst der Autorin, ein bislang kaum untersuchtes Kapitel des Holocaust mit Hilfe einer beeindruckenden Fülle an authentischem Material erstmals umfassend dargestellt zu haben.

Zitierweise:
Annette Mertens: Rezension zu: Eleonore Lappin-Eppel, Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen, Wien, LIT, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 582-584.

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